TERRE DES FEMMES veranstaltete eine Podiumsdiskussion zum Thema Frühehen

Im Rahmen der TERRE DES FEMMES-Kampagne „STOP Frühehen“ diskutierten am 29. Mai 2015 vier Expertinnen über die Zwangsverheiratung Minderjähriger und beleuchteten dabei das Problem aus verschiedenen Perspektiven. Moderiert wurde die Veranstaltung von Sharon Adler.

Neben der TERRE DES FEMMES-Referentin Myria Böhmecke waren auf dem Podium vertreten: Prof. Dr. Godula Kosack, Koordinatorin des von TDF unterstützten Projekts „Selbstbestimmung durch Bildung“ (AFFMHL) in Nordkamerun, Dr. Necla Kelek, Koordinatorin des von TDF unterstützten Projekts YAKA-KOOP in der Osttürkei, und eine Mitarbeiterin der anonymen Kriseneinrichtung Papatya.

Die Teilnehmerinnen der Podiumsdiskussion (v.l.n.r.): Prof. Dr. Godula Kosack, Dr. Necla Kelek, Sharon Adler (Moderatorin), Myria Böhmecke (Referentin TERRE DES FEMMES). Foto: © Terre des Femmes e.V.Die Teilnehmerinnen der Podiumsdiskussion (v.l.n.r.): Prof. Dr. Godula Kosack, Dr. Necla Kelek, Sharon Adler (Moderatorin), Myria Böhmecke (Referentin TERRE DES FEMMES). Foto: © TERRE DES FEMMES e.V.

Schon in den vier Eingangsstatements der Podiumsteilnehmerinnen wurden das Ausmaß von Frühehen und die je nach Land unterschiedlichen Ausprägungen und Auswirkungen sehr deutlich:

Eine Schätzung des UN-Bevölkerungsfonds besagt, dass jährlich 14,2 Millionen Mädchen vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet werden - das sind täglich 39.000 Mädchen. Die Folgen für die jungen Frauen sind verheerend, da u.a. Schwangerschaft und Geburt für 15-19-jährige Frauen weltweit Todesursache Nummer eins ist. Gründe für eine frühe Vermählung sind insbesondere die finanzielle Entlastung der Familie, da es ein Kind weniger zu versorgen gilt, der hohe Brautpreis als auch die jungfräuliche Verheiratung der Mädchen zum Schutze der so genannten Familienehre in streng patriarchalen Familien. Frühehen sind allerdings kein ausschließlich ausländisches Problem. In Deutschland ist das Mindestheiratsalter zwar auf 18 Jahre festgelegt, allerdings können auch 16-jährige mit der Zustimmung des Familiengerichts heiraten. Allein im Jahr 2008 haben sich 3.500 Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund an Beratungs- und Zufluchtsstellen gewandt, weil sie von einer Zwangsheirat bedroht oder betroffen waren. Fast ein Drittel von ihnen war minderjährig, von denen die Mehrheit religiös oder sozial verheiratet wurde/werden sollte.

Mitunter das größte Problem im Kampf gegen Frühehen ist die Auslandsverschleppung – und verheiratung. Der Großteil der jährlich bei Papatya eingehenden Beratungsfälle stammt von Mädchen, die Deutschland bereits verlassen haben, da viele junge Mädchen während des vermeintlichen Heimaturlaubs verheiratet und meistens auch im Herkunftsland zurückgelassen werden. Als Beispiel wurde das Schicksal eines 16-jährigen Mädchens aus dem Kosovo geschildert, das während ihres Heimaturlaubs gegen ihren Willen mit ihrem Cousin verheiratet und von diesem in der Hochzeitsnacht vergewaltigt worden ist. Die Rückführung der Mädchen aus dem Ausland ist äußert schwierig, sodass eine vorzeitige Flucht beim Verdacht einer bevorstehenden Zwangsverheiratung empfohlen wird. Um dem wachsenden Problem der Auslandsverschleppung entgegen zu wirken, richtete Papatya im Mai 2013 die Koordinierungsstelle gegen Verschleppung und Zwangsverheiratung ein.  

TERRE DES FEMMES setzt sich nicht nur auf nationaler, sondern auch auf internationaler Ebene gegen Frühehen ein. In der Türkei beispielsweise werden Mädchen hauptsächlich zum frühzeitigen Schutz der Familienehre vor dem Erreichen des gesetzlichen Mindestheiratsalters von 18 Jahren verheiratet. Bei Verlust der vermeintlichen Ehre wird das Mädchen bzw. die Frau geschlagen, verstoßen und im schlimmsten Fall sogar ermordet. Allerdings entscheiden sich viele Frauen eigenhändig für eine Frühehe oder gar für einen „freiwilligen“ Tod, da sie schon im Kindesalter als Trägerinnen der Familienehre erzogen werden und sich beim vermeintlichen Verlust daher auch mitverantwortlich fühlen. Letztes Jahr wurden allein 17 „Selbstmord“-Fälle im Südosten der Türkei registriert. Das von TERRE DES FEMMES unterstützte Projekt YAKA-KOOP setzt sich daher effektiv durch Präventions- und Aufklärungsarbeit sowie Bildungsmaßnahmen und Unterstützung der ökonomischen Unabhängigkeit gegen Gewalt an Mädchen und Frauen sowie Frühehen ein.

Besonders in Subsahara-Afrika sind Frühehen weit verbreitet. In Nord-Kamerun zum Beispiel werden Mädchen in ländlichen Gebieten im Kindesalter verheiratet, obwohl das gesetzliche Mindestheiratsalter auf 18 Jahre festgelegt ist. Nach dem Gewohnheitsrecht der Mafa, eines Volksstammes in Nord-Kamerun, nämlich wird ein Mädchen schon nach Beginn ihrer ersten Menstruation, also im Alter zwischen 13 und 15 Jahren, für heiratsfähig erklärt. Da die Mädchen größtenteils in sozialen und religiösen Zeremonien verheiratet werden, ist eine Strafverfolgung daher unmöglich. Zudem sind die Mädchen und Frauen in der streng patriarchalen Gesellschaft Kameruns den Männern untergeordnet und haben nicht einmal den Anspruch auf die eigenen Kinder bei einer Trennung oder Verwitwung, da diese der Familie des Mannes zugeschrieben werden. Das beste Mittel, Zwangs- und Frühehen vorzubeugen, ist Aufklärung und Bildung. Daher ermöglicht das Projekt AFFMHL Mädchen und jungen Frauen durch Stipendien den Schulbesuch, um sie auf dem Weg zu einem unabhängigen und selbstbestimmten Leben zu unterstützen.

Fragen aus dem Publikum. Foto: © Terre des Femmes e.V.Fragen aus dem Publikum. Foto: © TERRE DES FEMMES e.V.

Die angeführten Zahlen und Fakten bestätigen abermals, wie wichtig es ist, den Kampf gegen Frühehen zum Schwerpunkt bei TERRE DES FEMMES zu machen. Die wichtigsten Forderungen von TERRE DES FEMMES in diesem Zusammenhang sind: Die Festsetzung des Mindestheiratsalters auf 18 Jahren ohne Ausnahmen, eine Strafbarkeit von sozialen und religiösen Zwangsverheiratungen, die bisher nicht unter den Paragraphen StGB 237 fallen, einen verbesserten Schutz für Opfer von Früh- bzw. Zwangsehen, eine umfassende Aufklärung und Weiterbildung von MitarbeiterInnen öffentlicher Behörden und Schulen sowie eine EU-weite Studie zu Zwangsheirat.

Das Thema Frühehen fand überdies auch Anklang in den Medien. Das Kulturradio rbb hat nach der Veranstaltung ein Interview mit den Podiumsteilnehmerinnen geführt, das zum Nachhören zur Verfügung steht.

TERRE DES FEMMES bedankt sich bei allen Beteiligten für diesen gelungenen Abend.


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