Internationaler Mädchentag: TERRE DES FEMMES fordert bessere Maßnahmen für minderjährige Ehefrauen

Im Rahmen des 2-jährigen Schwerpunktes „STOP Frühehen!“ hat TERRE DES FEMMES am 25.11.2015 eine Hochzeitszeremonie vor dem Brandenburger Tor inszeniert. Foto: © Uwe Steinert/TERRE DES FEMMES Im Rahmen des 2-jährigen Schwerpunktes „STOP Frühehen!“ hat TERRE DES FEMMES am 25.11.2015 eine Hochzeitszeremonie vor dem Brandenburger Tor inszeniert. Foto: © Uwe Steinert/TERRE DES FEMMES Jedes Jahr am 11. Oktober wird daran erinnert, welchen besonderen Benachteiligungen Mädchen auf der ganzen Welt ausgesetzt sind. Wir nehmen das zum Anlass, um von der Bundesregierung nochmals dringend bessere Maßnahmen für minderjährige Ehefrauen einzufordern (Pressemitteilung vom 06.10.16). Minderjährige Ehefrauen müssen gleich behandelt werden wie minderjährige unbegleitete Flüchtlinge, denn auch sie sind unbegleitet. Sie haben keine sorgeberechtigten Eltern, die für sie entscheiden können. Sobald minderjährige Verheiratete durch das BAMF registriert werden, muss das Familiengericht eingeschaltet werden, das einen vorläufigen Vormund bestellt und das Jugendamt involviert. TERRE DES FEMMES ist besorgt, dass weder regelmäßig das Jugendamt informiert noch das Familiengericht eingeschaltet wird. Hierzu muss es eine Verpflichtung geben. Außerdem ist zum Schutz und Wohl der Mädchen eine Sensibilisierung von Fachkräften und (ehrenamtlichen) UnterstützerInnen nötig. Darum wird TERRE DES FEMMES ab 2017 Fortbildungen dazu für ehren- und hauptamtliche MitarbeiterInnen von u. a. Erstaufnahmeeinrichtungen in Berlin anbieten.

Mehr als 1.100 minderjährige Ehefrauen leben in Deutschland

Im Ausländerzentralregister waren zum 31. Juli 2016 1.475 in Deutschland lebende minderjährige ausländische Personen mit dem Familienstand „verheiratet“ gespeichert. Fast 80% davon, nämlich 1.152 Minderjährige, waren Mädchen. 361 Betroffene waren unter 14 Jahre alt. Zu den Hauptherkunftsstaaten zählten Syrien, Afghanistan, Irak, Bulgarien, Polen, Rumänien, Griechenland, Türkei und Iran. Viele von ihnen kamen als Flüchtlinge nach Deutschland. Sie wurden vor oder während der Flucht von ihren Familien an oft ältere Männer verheiratet. Die Gründe sind vielfältig: Häufig spielt die Bewahrung der Familienehre eine wichtige Rolle. In vielen Ländern, aus denen die geflüchteten Menschen stammen, ist es wichtig, dass eine Frau als Jungfrau in die Ehe geht. Aus Angst, die Töchter könnten während der Flucht entjungfert werden und die "Familienehre" gefährden, werden sie rasch verheiratet. In den Augen der Eltern und Familienangehörigen bietet ein Ehemann angeblichen Schutz für die Töchter. Weiterhin werden Mädchen an ältere Männer auch deshalb verheiratet, um aus dem Erlös der Heirat die weitere Flucht oder den Unterhalt während der Flucht für den Rest der Familie zu finanzieren. Diese jungen Frauen brauchen unseren besonderen Schutz!

Gesetzesänderungen dringend erforderlich

Auf Gesetzesebene fordert TERRE DES FEMMES seit langem, das Mindestheiratsalter in Deutschland auf 18 Jahren ohne Ausnahme festzulegen. Dafür haben wir über 108.000 Unterschriften gesammelt und im Mai im Rahmen eines Fachgesprächs dem Bundesjustizministerium übergeben. Zusätzlich fordern wir, dass im Ausland geschlossene Ehen mit Minderjährigen in Deutschland nicht mehr anerkannt werden, wie jüngst noch in einem Urteil des Oberlandesgerichts Bamberg geschehen. Dafür muss es eine Änderung im Einführungsgesetz zum BGB geben, das das internationale Privatrecht regelt.

Auch bei Nichtanerkennung dieser Minderjährigenehen muss in jedem Einzelfall entschieden werden, ob die Jugendliche getrennt von ihrem „Ehemann“ untergebracht werden sollte. Auch ein Kontaktverbot gegen den ausdrücklichen Willen der Betroffenen kann kontraproduktive Konsequenzen haben. Eine langfristige rechtliche Bindung an einen z.T. fremden Mann darf aber erst mit Erreichen der Volljährigkeit möglich sein.

Zwei Jahre erfolgreiche Arbeit im Kampf gegen Frühehen: Eine Zwischenbilanz

Wir freuen uns, dass auch der Bundesjustizminister Heiko Maas Handlungsbedarf für konkrete Gesetzesänderungen sieht und eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe zu dem Thema eingerichtet hat, die das erste Mal am 5. September tagte. Bereits seit über zwei Jahren kämpft TERRE DES FEMMES unter dem Motto „STOP Frühehen!“ für die dringend notwendigen Gesetzesänderungen, z.B. mit einer spektakulären Aktion vor dem Brandenburger Tor am 25.11.15. Diese und viele weitere Aktionen und Erfolge der letzten zwei Jahre haben wir in einer anschaulichen und umfassenden Dokumentation (PDF) zusammengestellt.

Unterstützung vor Ort

Die Berichte, die uns aus den Flüchtlingslagern in der Türkei, Jordanien und aus dem Libanon erreichen, sind erschreckend. Die Zahl der Kinderheiraten steigt rapide an, es ist ein regelrechter Heiratsmarkt entstanden. Während vor dem Krieg in Syrien bei 13% aller Hochzeiten mindestens ein Ehegatte minderjährig war, sind es nach Angaben der SOS-Kinderdörfer aktuell über 50%. Aus finanziellen Gründen, oder weil sie um die Sicherheit ihrer Töchter fürchten, stimmen Eltern einer frühen Heirat zu. Und die Nachfrage ist groß. Dieser Heiratshandel muss unterbunden werden! Dazu braucht es Programme und Hilfsangebote vor Ort. Mädchen müssen beispielsweise die Möglichkeit haben, die Schule zu besuchen, unabhängig von der finanziellen Situation ihrer Familie. Falls ein Mädchen unmittelbar aufgrund einer vollzogenen oder geplanten Frühverheiratung gefährdet ist, muss Deutschland den Betroffenen sichere Wege in das Bundesgebiet ermöglichen, z.B. über ein besonderes Aufnahmekontingent.

Hintergrund

Weltweit werden täglich 41.000 Mädchen vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet, Tendenz steigend. Frühverheiratungen sind eine Menschenrechtsverletzung. Minderjährige können die Folgen einer Heirat noch nicht abschätzen. Oft sind diese für die jungen Frauen verheerend. Mädchen, die jünger als 15 Jahre sind, sterben fünf Mal häufiger bei der Geburt ihrer Kinder als Frauen in den Zwanzigern. Schwangerschaft und Geburt ist für 15-19-jährige Frauen weltweit Todesursache Nummer eins. Außerdem sind sie besonders gefährdet, in ihrer Ehe häusliche und/oder sexualisierte Gewalt zu erfahren.

Stand: 10/2016