Der „Ehren“- Mord an Morsal Obeidi jährt sich zum achten Mal

Grab von Morsal ObeidiAm Sonntag, den 15. Mai 2016, jährt sich zum achten Mal der Mord an der damals 16-jährigen Morsal Obeidi in Hamburg. Die Deutsch-Afghanin wurde von ihrem Bruder Ahmad mit 23 Messerstichen getötet. Morsal wollte sich den patriarchalischen Lebensvorstellungen ihrer Familie nicht beugen und ein selbstbestimmtes Leben führen. Wegen ihres "westlichen" Lebensstils kam es immer wieder zu gewalttätigen Konflikten mit ihrer Familie, insbesondere mit ihrem Bruder Ahmad und ihrem Vater. Die letzten zweieinhalb Jahre floh sie mehrfach in Einrichtungen der Kinder- und Jugendnothilfe. Der Mord an Morsal Obeidi ist der Abschluss einer langen Leidensgeschichte. Am 13. Februar 2009 hat das Hamburger Landgericht Ahmad Obeidi wegen heimtückischen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt.

Ein ähnliches Schicksal wie Morsal ereilte die jungen Syrerin Rokstan. Die damals 20-jährige wurde Ende September 2015 ermordet. Ihre Leiche war am 2. Oktober in einer Kleingartenanlage in Dessau entdeckt worden. Rokstan wurde in Syrien von Soldaten vergewaltigt und floh nach Deutschland. Seitdem galt sie in ihrer Familie als unrein. Obwohl sie das Opfer war, gilt sie als diejenige, die die Ehre der Familie beschmutzt hat. Das Amtsgericht Dessau hat einen Haftbefehl gegen den tatverdächtigen Vater erlassen. Die Polizei sucht noch immer nach Hinweisen über dessen Verbleib, vermutet jedoch, dass dieser sich nach Syrien abgesetzt hat.

Allein im Jahr 2016 wurden bereits vier „Ehren“- Morde offiziell dokumentiert:

  • Die 29-jährige Syrerin Ramia A. wurde am 7. Januar 2016 von ihren Brüdern (21 und 26 Jahre alt) erstochen.
  • Am 11. Januar 2016 wurde die Irakerin Ayse in Oldenburg von ihrem Ex-Mann erstochen.
  • In der Nacht vom 12. zum 13. Januar 2016 wird die junge Usbekin Lilli in Siegen vom Vater ihrer beiden Söhne erstochen.
  • Am 13. März 2016 wird die 21-jährige Kurdin Shilan Hassan während einer Hochzeit mit 300 Gästen in Hannover von ihrem Ex-Verlobten durch fünf gezielte Schüsse getötet. Die junge Frau widersetzte sich einer von ihrem Onkel geplanten Zwangsverheiratung mit ihrem Cousin.

(Quelle: http://www.ehrenmord.de/doku/2016/doku_2016.php)

2015 gab es in der Beratungsstelle von TERRE DES FEMMES 254 Anfragen zu drohender oder vollzogener Zwangsheirat und Gewalt im Namen der Ehre. 2014 waren es noch 199. Auch die Zahl der Mädchen und Frauen, die bei der LANA-Fachberatungsstelle Hilfe suchten, hat sich weiter erhöht. Im Eröffnungsjahr 2013 wurden 75 Anfragen gezählt, 2014 zählten die LANA-Beraterinnen bereits 120 Einzelfälle aus Berlin. 2015 sind es nun 174 Fälle. Diese Zahlen zeigen, dass es einen großen Bedarf für dieses spezialisierte Angebot in Berlin gibt.

Die Zahl der Mädchen und Frauen, die jedes Jahr wegen verletzter Familienehre umgebracht werden, wird in keiner Statistik erfasst. Die BKA-Studie „Ehrenmorde in Deutschland. 1996-2005" ergab, dass jedes Jahr zwölf "Ehren“-Morde gerichtlich erfasst werden. Nicht mitgezählt sind dabei Fälle, die als Unfall oder Selbstmord getarnt sind.

Wie TERRE DES FEMMES in einer Stellungnahme zur Veröffentlichung der BKA-Studie betont hat, besteht ein enger Zusammenhang zwischen "Ehren“-Morden und Zwangsverheiratungen. Mädchen und junge Frauen müssen bis zur Hochzeit mit dem für sie ausgewählten Mann Jungfrau bleiben, sonst verletzen sie die Ehre der Familie. Um dies zu verhindern, werden sie möglichst früh verheiratet.

TERRE DES FEMMES hat zum Internationalen Mädchentag am 11.10.15 eine Unterschriftenaktion gestartet, mit der sie die Bundesregierung auffordert, sich für ein Ende von Frühehen einzusetzen. Konkret fordern wir, das Mindestheiratsalters auf 18 Jahre ohne Ausnahme festzulegen. Bis zum 02.05.16 haben 108.811 Menschen diese Petition unterschrieben. Im Rahmen eines Fachgespräches hat TERRE DES FEMMES am 9. Mai 2016 dem Bundesjustizministerium die gesammelten Unterschriften übergeben. Im Gespräch zeigte sich Frau Ministerialdirigentin Kienemund, die in Vertretung von Bundesjustizminister Heiko Maas die Unterschriften entgegennahm, sehr offen für das Anliegen und versprach, die Möglichkeiten einer Gesetzesänderung zu prüfen.

Neben gesetzlichen Regelungen braucht es zudem unbedingt auch Präventions- und Aufklärungsmaßnahmen. Lehrkräfte sowie die MitarbeiterInnen von Behörden wie Jugendamt und Polizei müssen sensibilisiert und geschult werden, damit junge Frauen nicht das gleiche Schicksal ereilt wie Morsal, Rokstan oder Shilan; sichere Schutzeinrichtungen, in denen bedrohte Mädchen und junge Frauen Zuflucht finden können, müssen bundesweit geschaffen werden; veraltete, patriarchale Strukturen, denen sich zum Teil auch Männer unterworfen fühlen, müssen aufgebrochen werden!

 

Stand 05/2016