„Ehren“-Mord oder Femizid?

Der Kampf um Begrifflichkeiten hilft den Mädchen und Frau wenig

Berlin, 17.08.2021. Der Mord an der Afghanin Maryam, der vermutlich von ihren beiden Brüdern am 17. Juli in Berlin begangen worden ist, hat eine Diskussion um die Begriffe „Ehren“-Mord und Femizid hervorgerufen. Dabei sind in der Diskussion verschiedenste Tendenzen zu erkennen, die den einen Begriff „weniger stigmatisierend“, den anderen gar „abwertend“ und „islamfeindlich“ bezeichnen.
Aber worum geht es hier eigentlich? Geht es hier um eine Wertung, welcher Begriff „besser“ ist oder welcher zu sehr „stigmatisiert“? Oder welche Form häufiger vorkommt als eine andere? Sollte es in der Diskussion nicht vielmehr darum gehen, diese furchtbare Tat als Anlass zu nehmen, noch einmal genauer hinzuschauen, welches Phänomen sich dahinter verbirgt und welche Hilfen für Bedrohte im Vorfeld wichtig sind? Wie hätte dieser Mord verhindert werden können und welche Präventionsmaßnahmen sind notwendig, um Mädchen und Frauen, aber auch jungen und Männern, die ebenfalls Opfer von dieser Form der Gewalt werden können, zu helfen?


So genannte „Ehren“-Morde werden nicht nur an Frauen, sondern auch an Männern begangen, die sich angeblich „unehrenhaft“ verhalten, aktuelle Zahlen fehlen. Die Täter sind nicht, wie bei Femiziden zumeist der (Ex-)Partner, sondern oft mehrere Mitglieder der eigenen Familie, wie der Vater, der Onkel oder die Brüder.
In sehr streng patriarchalischen Gesellschaften werden Mädchen und Jungen oft kollektivistisch erzogen, ein von der Norm abweichendes Verhalten wird als Gefährdung oder Verletzung der Familienehre angesehen: Mädchen und Frauen haben sich zurückhaltend und „keusch“ zu verhalten, die Männer hingegen sollen als Familienoberhaupt und Aufpasser der „Familienehre“ fungieren und eine angeblich verletzte Familienehre notfalls mit Gewalt wiederherstellen. Dabei haben insbesondere Mädchen und Frauen zu leiden, die von den eigenen Eltern und Familie häufig massiv in ihrer Freiheit und Selbstbestimmung bis hin zur Zwangs- und Frühverheiratung eingeschränkt werden. Wie viele Mädchen und Frauen betroffen sind, weiß niemand, die Dunkelziffer wird von ExpertInnen als hoch eingeschätzt.

In der Diskussion darf es auf keinen Fall darum gehen, zu stigmatisieren oder das Phänomen auf eine Religion zu beschränken. Auch soll kein zahlenmäßiger Vergleich angestellt werden: Jeder Mord ist ein Mord zu viel! Zwingend notwendig hingegen ist es, geeignete Präventionsmaßnahmen umzusetzen, die nicht früh genug anfangen können, denn von Gewalt im Namen der Ehre sind oft bereits Minderjährige betroffen, die eigenen Eltern bzw. Geschwister die Täter. Minderjährige sind in einem besonderen Maße abhängig von ihren Eltern und der Familie, häufig trauen sie sich nicht, Hilfe zu holen, aus Angst vor einer konkreten Bedrohungssituation bzw. vor einem Ausschluss aus der Familie. Daher müssen bereits SchülerInnen Auswege aus der Gewaltsituation kennenlernen und rollenkonforme Erziehung und Verhaltensweisen hinterfragen, Lehrkräfte geschult und Präventions- und Beratungsangebote ausgebaut werden.
Ziel muss sein, dass alle Mädchen und Frauen gleichberechtigt in Deutschland leben können – unabhängig von Kultur, Tradition oder Religion!