100% Einsatz gegen Gewalt an Frauen: Nebahat Akkoç zu Besuch bei TERRE DES FEMMES in Berlin

Hat die unabhängige Frauenrechtsarbeit in der Türkei auch eine Bedeutung für Deutschland und Berlin? Und wenn ja, welche? Diese Frage stand im Mittelpunkt des Besuchs der türkischen Frauenrechtsaktivistin Nebahat Akkoç bei TERRE DES FEMMES in Berlin am 10. März 2014, zwei Tage nach dem Internationalen Frauentag. Zusammen mit der Neuköllner Gleichstellungsbeauftragten Sylvia Edler und der anonymen Kriseneinrichtung Papatya veranstaltete TERRE DES FEMMES zudem eine öffentliche Informationsveranstaltung im Rathaus Neukölln zu dem Thema. „Frauenrechte in der Türkei?!“ – Diese Frage lockte mehr als 100 interessierte Zuhörerinnen und Zuhörer in den überfüllten BVV-Saal, wo Nebahat Akkoç von sich und ihrer Arbeit berichtete.

Frau Akkoç hat lange Jahre als Lehrerin gearbeitet, bevor sie Mitte der Neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts angefangen hat, sich für Frauenrechte zu engagieren. Sie hatte miterleben müssen, wie 16 ihrer KollegInnen getötet wurden, und war selbst insgesamt 15 Mal verhaftet und in Haft gefoltert worden. Sie gründete daraufhin 1997 im Südosten der Türkei die kurdisch-türkische Frauenrechtsorganisation KAMER, die in mittlerweile 23 Städten rechtliche und psychologische Hilfe für von Gewalt betroffene Frauen anbietet. Dabei unterscheiden die 47 hauptamtlichen Mitarbeiterinnen sowie 8 Honorarkräfte und rund 200 Ehrenamtliche von KAMER genau, von welcher Gewalt die Hilfe Suchenden betroffen sind: von häuslicher Gewalt oder von Gewalt im Namen der Ehre.

Die türkische Gesellschaft ist vor allem in den ländlichen Gebieten und in der Osttürkei patriarchalisch-traditionell bestimmt. Frauen müssen sich sowohl im öffentlichen als auch im Familienkontext an strenge Verhaltensregeln halten, die auf einem überkommenen Verständnis des Begriffs „Ehre“ beruhen. Die Familienehre ist abhängig vom "richtigen" Verhalten der weiblichen Familienmitglieder, die quasi als Besitz des Mannes angesehen werden. Hat eine Frau die Familienehre beschmutzt, muss sie unter Umständen sogar um ihr Leben fürchten. Zwar hat sich die Gesetzeslage verändert und Ehrgewalt wird mit einer Gefängnisstrafe von mindestens 10 Jahren sanktioniert (früher gab es den „Ehren“-Mordparagrafen, der sich mildernd auf das Strafmaß auswirkte). Doch weist KAMER darauf hin, dass „Ehren“-Morde auch als Suizid getarnt werden und daher solche Fälle mit Vorsicht zu genießen seien. Frau Akkoç gab sich jedoch bei ihrem Besuch kämpferisch: „Wir werden alle unsere Energie einsetzen, um auch den letzten „Ehren“-Mord zu verhindern!“, schickte sie eine Warnung an die TäterInnen.

Diese TäterInnen sind in ihren Augen jedoch zum Teil auch selbst Opfer, und zwar diejenigen, meist minderjährigen, Familienmitglieder, die vom Ältestenrat dazu bestimmt werden, einen „Ehren“-Mord zu begehen. Daher ist es wichtig, dass bei Gewalt im Namen der Ehre die gesamte Familie bestraft wird, die die Tat anordnet bzw. nicht verhindert. In der Türkei gab es schon solche Fälle, und auch in Deutschland setzt sich diese Sichtweise glücklicherweise immer mehr durch. Das beste Beispiel hierfür ist die Verurteilung der Geschwister und Eltern der ermordeten Arzu Özmen.

Es gibt aber auch Bereiche, in denen Deutschland der Türkei (wieder) hinterherhinkt, wie sich herausstellte. Frau Akkoç zeigte sich entsetzt, als sie erfuhr, dass es in Deutschland 2009 eine Änderung im Personenstandsrecht gab, in deren Folge es wieder möglich ist, ohne standesamtliche Voraustrauung religiös zu heiraten. Sie selbst habe in der Türkei lange dafür gekämpft, dass die religiöse Voraustrauung verboten wurde. Imame, die Brautpaare ohne amtliche Heiratsurkunde trauen, werden mit bis zu drei Jahren Haft bestraft. Nur so sei es möglich, die Zwangsverheiratung minderjähriger Mädchen und Jungen zu verhindern, so Frau Akkoç. Sie appellierte eindringlich, sich für die Rücknahme dieser Änderung einzusetzen.

Im Anschluss an ihren Vortrag gab es für das Publikum die Möglichkeit, Fragen an Frau Akkoç zu richten, wovon rege Gebrauch gemacht wurde. So vergingen die zwei Stunden wie im Flug und es wurde noch lange hinterher bei Gebäck und türkischem Tee weiterdiskutiert.

Einen besonderen Dank richten wir, neben unseren Kooperationspartnerinnen, an die Moderatorin des Abends, Güner Balci, und an die Dolmetscherin Nurda Tazegül, die beide dazu beigetragen haben, dass dieser Abend ein Erfolg wurde. Außerdem bedanken wir uns ganz herzlich bei der Bäckerei Salut für die überaus großzügige Spende von 10 Kilogramm türkischem Gebäck.

TERRE DES FEMMES-Bundesgeschäftsführerin Christa Stolle (links) zusammen mit der türkischen Frauenrechtsaktivistin Nebahat Akkoç und der Neuköllner Gleichstellungsbeauftragten Sylvia Edler. Foto: © TERRE DES FEMMESTERRE DES FEMMES-Bundesgeschäftsführerin Christa Stolle (links) zusammen mit der türkischen Frauenrechtsaktivistin Nebahat Akkoç und der Neuköllner Gleichstellungsbeauftragten Sylvia Edler.
Foto: © TERRE DES FEMMES

Nebahat Akkoç berichtet von der Arbeit ihrer Frauenrechtsorganisation KAMER. Foto: TERRE DES FEMMESNebahat Akkoç berichtet von der Arbeit ihrer Frauenrechtsorganisation KAMER.
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Der volle BVV-Saal im Rathaus Neukölln: Foto: © TERRE DES FEMMESDer volle BVV-Saal im Rathaus Neukölln.
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