Zehnter Todestag des "Ehren"-Mordopfers Hatun Sürücü am 07.02.15: Gedenkveranstaltungen und Bilanz zum Kampf gegen Gewalt im Namen der Ehre in Deutschland

Gedenkstein des "Ehren"-Mordopfers Hatun Sürücü in Berlin. Foto: © TERRE DES FEMMESGedenkstein des "Ehren"-Mordopfers Hatun Sürücü in Berlin. Foto: © TERRE DES FEAm Samstag, den 7. Februar, jährte sich der Todestag von Hatun Sürücü zum zehnten Mal. Die Deutsch-Türkin wurde mit 23 Jahren von ihrem jüngeren Bruder auf offener Straße in Berlin-Tempelhof erschossen, um die vermeintliche Ehre der Familie zu retten. Hatun hatte diese verletzt, als sie sich aus einer Zwangsehe befreite, ihr Kopftuch ablegte und eine Ausbildung begann. Ihr Schicksal steht für das Leiden unzähliger Mädchen und Frauen, denen ein freies und selbstbestimmtes Leben verweigert wird.

Veranstaltungen zum 07. Februar 2015

Um ihrer zu gedenken und die Erinnerung an Hatun Sürücü und an alle Mädchen und Frauen wach zu halten, die unter Gewalt im Namen der Ehre leiden, legte TERRE DES FEMMES, wie bereits in den 10 Jahren zuvor, mit anderen Organisationen Blumen am Gedenkstein nieder. Die Gedenkveranstaltung begann am Samstag, dem 07. Februar 2015 um 12 Uhr am Gedenkstein in Berlin-Tempelhof, Oberlandgarten 1/Ecke Oberlandstraße. Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler, die Senatorin für Arbeit, Integration und Frauen, Dilek Kolat, sowie TERRE DES FEMMES-Referentin Monika Michell für den Berliner Arbeitskreis gegen Zwangsverheiratung sprachen ein kurzes Grußwort.

Bereits einen Tag zuvor, am Freitag, dem 06. Februar 2015, organisierte der Berliner Arbeitskreis gegen Zwangsverheiratung anlässlich des 10. Todestages von Hatun Sürücü die Veranstaltung „NEIN zu Gewalt im Namen der Ehre“ um 15 Uhr im Rathaus Schöneberg. Bei dieser Veranstaltung berichteten u.a. Betroffene von sich und ihrem Kampf um ein selbstbestimmtes Leben und die Zahlen der aktuellen berlinweiten Befragung zu Zwangsverheiratungen wurden präsentiert.

Mehr als 10 Jahre Kampf gegen Zwangsverheiratung und Ehrverbrechen in Deutschland

Der 10. Todestag von Hatun Sürücü bot darüber hinaus die Gelegenheit, kritisch zu hinterfragen, was Deutschland – Politik und Gesellschaft - aus der schrecklichen Tat gelernt hat. Wie war die Situation 2005 und wie ist sie heute? Was wurde in den letzten Jahren für die Betroffenen erreicht und wo gibt es weiterhin (Schutz-) Lücken?

Die Anfänge: Das Tabuthema Zwangsheirat in Deutschland bekannt machen

"Mein Herz gehört mir" - Aktion gegen Zwangsheirat von TERRE DES FEMMES 2012"Mein Herz gehört mir" - Aktion gegen Zwangsheirat von TERRE DES FEMMES 2012

Die Frauenrechtsorganisation TERRE DES FEMMES hat sich seit ihren Anfängen für Mädchen und Frauen stark gemacht, deren Selbstbestimmungsrechte und körperliche Integrität im Namen einer falsch verstandenen Ehre verletzt wurden. Zwei Kampagnen zu Zwangsverheiratung und Ehrverbrechen zwischen 2002 und 2006 waren ein erster Schritt, um diese Menschenrechtsverletzung in Deutschland bekannt zu machen.

Zum Zeitpunkt von Hatuns gewaltsamem Tod gab es nur vereinzelt Einrichtungen, die in der Lage waren, Betroffene von Gewalt im Namen der Ehre wirksam zu unterstützen. Neben TERRE DES FEMMES gehörten dazu die Kriseneinrichtung Papatya in Berlin und das Wohnprojekt Rosa in Stuttgart. Trotz der breiten gesellschaftlichen Debatte nach der Ermordung Hatun Sürücüs blieben flächendeckende und nachhaltige Initiativen und Projekte für den verbesserten Schutz für Betroffene von Gewalt im Namen der Ehre in Deutschland aus. Nur einige wenige neue, spezialisierte Beratungsstellen und anonyme Schutzeinrichtungen wurden gegründet.

Erste positive Entwicklungen

Verbesserungen, die sich seit 2005 feststellen lassen, sind: In Workshops und Fortbildungen wurden MitarbeiterInnen von Behörden und Lehrkräfte für den sensible Umgang mit Betroffenen geschult und die Präventionsarbeit direkt mit Schülerinnen und Schülern begann. Leitfäden und weitere Informationsmaterialien für Behörden und Lehrkräfte wurden erstellt. Nicht zuletzt haben sich die rechtlichen Grundlagen geändert: Zwangsverheiratung ist seit 2011 ein eigener Straftatbestand und "Ehren"-Morde werden vor Gericht kaum noch aus kulturellen Begründungen strafmildernd behandelt. Erfolge, die auch dank der unermüdlichen Arbeit von TERRE DES FEMMES möglich wurden. So fordert TERRE DES FEMMES bereits seit 2004, dass TäterInnen eines Ehrverbrechens angemessen verurteilt werden. Die Organisation protestierte scharf gegen einen „Kulturbonus“ für „Ehren“-MörderInnen, als der ehemalige Bundesverfassungsrichter Winfried Hassemer 2009 dafür plädierte, bei einem in Deutschland begangenen „Ehren“-Mord die Sozialisation der TäterInnen zu berücksichtigen.

Der Unterstützungsbedarf ist nach wie vor hoch

Auch die Öffentlichkeitsarbeit zeigt Wirkung: Positive Vorbilder und Aufklärung über die eigenen Rechte haben dazu geführt, dass sich heutzutage sehr viel mehr Betroffene Hilfe suchen und den oftmals steinigen Weg in ein selbstbestimmtes Leben gehen. Im Jahr 2014 suchten bei der TERRE DES FEMMES-Beratungsstelle 212 Personen Unterstützung zu den Themen Gewalt im Namen der Ehre, Zwangsverheiratung, Verschleppung und/oder Jungfräulichkeit – davon alleine 62 Personen in Berlin. Das Themengebiet macht fast die Hälfte der Beratungsfälle aus (212 von 475 insgesamt) – Tendenz steigend.

Politik kommt ihrer Verpflichtung nicht nach

Es vergeht kaum ein Monat, in dem die Medien nicht über einen weiteren schrecklichen Mord berichten, der im Namen der Ehre verübt wurde. Und so lange es kein Umdenken in den Communities gibt, so lange Brüder ihre Schwestern, Väter ihre Töchter und jugendliche Männer ihre schwangeren Freundinnen umbringen, müssen Schutzeinrichtungen und Fachberatungsstellen weiter ausgebaut und ihnen eine sichere Finanzierung gewährleistet werden. So ist die LANA - Fachberatungsstelle gegen Zwangsheirat und Gewalt im Namen der Ehre von TERRE DES FEMMES bis heute das einzige spezialisierte Beratungsangebot dieser Art in Berlin.

„Die bisherigen Initiativen sind immer noch die berühmten Tropfen auf dem heißen Stein. Die Politik muss endlich guten Worten Taten folgen lassen. Wir brauchen flächendeckend in ganz Deutschland spezialisierte Beratungs-/ Präventions- und Unterstützungsangebote. Diese Initiativen müssen nachhaltig gestaltet sein. Das bedeutet mehr als Projektarbeit, die meist nur wenige Jahre finanziert wird und danach wieder wegfällt", fordert Christa Stolle, Bundesgeschäftsführerin von TERRE DES FEMMES.

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