01.12.14: Zum ersten Mal ist in Potsdam Zwangsheirat von einem Gericht bestraft worden

Am Montag, den 01.12.2014, wurde der 48-jährigen Tamer B. vom Amtsgericht Potsdam zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt. Er hatte im August 2012 seine damals 18-jährige Tochter gegen ihren Willen zu einer Ehe mit dem Sohn eines Freundes gezwungen. Wir begrüßen das Urteil.

Zum Hintergrund: Das Mädchen lebte fast ohne Kontakt zu ihrem Vater in der Türkei, bis sie im Frühjahr 2012 wegen Morddrohungen ihres Onkels fliehen musste. Die Beziehung zu einem jungen Mann hat der Familie missfallen. Ihr eigener Bruder wurde dazu beauftragt sie umzubringen. Er aber hat den Mord an seiner Schwester verweigert und floh mit ihr zusammen nach Deutschland.

Kurze Zeit später arrangierte der Vater die Hochzeit. Die 18-jährige wollte aber nicht heiraten und legte den Verlobungsring vor den Augen ihres Vaters ab. Dieser warf daraufhin ein Handy nach ihr, beschimpfte sie und schlug ihr ins Gesicht. Aus Angst vor weiteren Übergriffen ging die junge Frau die Ehe schließlich doch ein.

Ihre Deutsch-Lehrerin beobachtete starke Veränderungen und schaffte es unter einem Vorwand ein persönliches Gespräch mit ihrer Schülerin zu führen. Die junge Frau vertraute sich ihr an und erzählt von der arrangierten Hochzeit und ihrer Angst. Die Lehrerin bietet ihre Hilfe an und holt eine Pfarrerin dazu. Sie bringt das Mädchen, das in der Presse Dilara genannt wird, zu einer Beratungsstelle. Seitdem lebt die junge Frau in einem anonymen Frauenhaus.

Die Verhandlungen, die im November 2013 begannen, waren eine große psychische Belastung. Dilara zögerte im Prozess zuerst wichtige Fakten aus Sorge um ihre Mutter, die von ihrem Mann abhängig ist, heraus. Damals wurde der Prozess ausgesetzt, weil der Verteidiger an der Glaubwürdigkeit der jungen Türkin zweifelte und ein psychologisches Gutachten verlangte. Es wurden allerdings keine gravierenden Störungen diagnostiziert.

Trotz der großen Belastung des andauernden Prozesses sind schon kleine Erfolge zu verzeichnen. Ihr Asylantrag ist inzwischen bewilligt worden und die Ehe nach deutschem Recht geschieden. Die Scheidung nach dem türkischen Recht steht allerdings noch aus.

Das Gericht ging über den Antrag der Staatsanwaltschaft von acht Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung hinaus. Zudem verhängte es eine Kontaktsperre zu der Tochter. Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig. Der Angeklagte hat noch das Recht in Berufung zu gehen.

Wir schließen uns der Kriseneinrichtung Papatya an, die in einer Pressemitteilung mitteilen: „Wir begrüßen das Urteil des Potsdamer Amtsgerichts gegen einen Vater, der seine Tochter zwangsverheiratet hat. Wir halten das für ein gutes Signal, um zu zeigen, dass Zwangsverheiratung nicht als kulturell oder traditionell entschuldbar betrachtet wird, sondern als Straftat. Wenn sich diese Botschaft in den Familien verbreitet, die es bisher als ihr angestimmtes Recht ansehen, über ihre Tochter und deren Leben zu verfügen, ist das ein Erfolg auf dem Weg der Selbstbestimmung für die Betroffenen.“

Wir hoffen, dass dadurch mehr junge Frauen den Mut fassen einen Prozess gegen Familienmitglieder zu führen und es damit zu mehr Verurteilungen der Täter kommt.