„Ehren“-Mordfall Hanaa S. wird vor Wuppertaler Landgericht verhandelt

Gedenkstein eines „Ehren“-Mordopfers. Foto: © TERRE DES FEMMESGedenkstein eines „Ehren“-Mordopfers.
Foto: © TERRE DES FEMMES
Die 35-jährige Jesidin Hanaa S. aus Solingen verschwand am 21. April 2015 spurlos, ihr Verbleib ist weiter ungeklärt. Für die Beamten der Kriminalpolizei Wuppertal steht allerdings fest: Hanaa S. fiel einem „Ehren“-Mord zum Opfer. Obwohl die Leiche noch nicht gefunden wurde, sind inzwischen fünf Verwandte der sechsfachen Mutter – ihr Ehemann, ihr ältester Sohn (18), sowie zwei Brüder und eine Schwester ihres Ehemannes - wegen gemeinschaftlichen Mordes angeklagt und müssen sich seit dem 27.06.2016 vor dem Landgericht Wuppertal verantworten.

Hanaa S. war im Alter von 15 Jahren zwangsverheiratet worden. Nachdem sie sich von ihrem gewalttätigen Ehemann trennte, wurde sie von ihm und seiner Familie bedroht und suchte mehrmals in Frauenhäusern Schutz. Ihr neuer Partner meldete sie am 22. April als vermisst. Die Ermittler vermuten, dass Hanaa S. einem Mordkomplott zum Opfer fiel, mit dem die Verwandten die Familienehre wiederherstellen wollten.

Leider ist der Mord an Hanaa S. kein Einzelfall. Eine Studie des Bundeskriminalamtes von 2011 ergab, dass zwischen 1996 und 2005 jährlich im Schnitt 12 „Ehren“-Morde gerichtlich erfasst wurden. Aktuell beschäftigen unter anderem folgende Fälle die Justiz:

  • Die 20-jährige Syrerin Rokstan wurde am 30. September 2015 in Dessau ermordet. Rokstan war in Syrien von Soldaten vergewaltigt worden, bevor sie mit ihrer Familie nach Deutschland floh. Obwohl sie das Opfer war, galt sie für ihre Familie nach der Vergewaltigung als unrein und als „Beschmutzerin“ der Familienehre. Im Verdacht stehen die Eltern der jungen Syrerin. Der flüchtige Vater wird per Haftbefehl gesucht.
  • Ebenfalls flüchtig ist der Mörder der 21-jährigen Kurdin Shilan. Sie war während einer Hochzeit in Hannover mit fünf gezielten Schüssen von ihrem Cousin und Ex-Verlobten getötet worden. Die Studentin sollte nach dem Willen ihres Onkels ihren Cousin ehelichen, doch die junge Frau widersetzte sich und überzeugte ihren Vater, die Verlobung zu lösen.

TERRE DES FEMMES betont den Zusammenhang zwischen „Ehren“-Morden und Zwangsheirat. Nach dem Ehrbegriff, der in traditionell patriarchalisch geprägten Familien oder Gesellschaften häufig gilt, müssen Mädchen und junge Frauen bis zur Hochzeit mit dem für sie ausgewählten Mann Jungfrau bleiben, da sie sonst die Ehre ihrer Familie beschmutzen. Aus diesem Grund werden die Mädchen oft früh verheiratet, um vorehelichen Beziehungen zuvor zu kommen. Verliert das Mädchen ihre Jungfräulichkeit vor der Eheschließung, verweigert sie eine Zwangsheirat oder verlässt sie ihren Mann, ist die Familienehre verletzt. Während die Frauen als Trägerinnen der Familienehre gelten, obliegt es den Männern diese zu bewahren und etwaige „Fehltritte“ der weiblichen Familienmitglieder zu verhindern. Wenn dies misslingt bleibt nach diesem Verständnis oft nur der Mord an der betreffenden Frau beziehungsweise dem betreffenden Mädchen zur Wiederherstellung der Ehre.

TERRE DES FEMMES verzeichnet eine steigende Nachfrage von Beratung zu Gewalt im Namen der Ehre und Zwangsheirat. Die Beratungsstelle erhielt im Jahr 2015 254 Anfragen zu der Thematik, wohingegen es 2014 noch 199 waren. Die Zahlen zeigen, dass Gewalt im Namen der Ehre und Zwangsheirat auch in Deutschland ein ernst zu nehmendes Phänomen darstellen. Umso wichtiger ist die Aufklärungs- und Präventionsarbeit, die TERRE DES FEMMES leistet.

Derzeit laufen bei TERRE DES FEMMES die Vorbereitungen für ein neues Theaterprojekt, das SchülerInnen über die Problematik von Gewalt (im Namen der Ehre) und Flucht aufklären soll und durch das Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg gefördert wird. In Zusammenarbeit mit der Theatergruppe „Mensch: Theater!“, der Beratungsstelle Yasemin und einem Mädchenbeirat aus ehemaligen Betroffenen wird ein Theaterstück konzipiert. Das Stück soll zwischen Oktober 2016 und Januar 2017 an 12 Schulen in Baden-Württemberg aufgeführt werden.

Stand: 08/2016